Zweckpessimismus

Zweckpessimismus oder angemessene und realistische Erwartungshaltung?

Im Anschluss an einen Gottesdienst entwickelte sich ein Gespräch über Erwartungshaltungen und wie wir jeweils mit unseren eigenen Erwartungen umgehen. Die Predigt war anders, als wir es erwartet hatten und bezüglich ihres roten Fadens nicht so klar, wie wir es von diesem Zelebranten gewohnt waren.

Dies ist ihm auch selbst aufgefallen: direkt vor dem Schlusssegen hatte er sich dafür kurz entschuldigt und die Kernaussage seiner Predigt in zwei Sätzen auf den Punkt gebracht. Dafür hatte ich ihm nach dem Gottesdienst gedankt. Es war ihm damit gelungen, die Kernaussage (Gott ist zugleich vertraut und unvertraut) nochmals ins Gedächtnis zu rufen. Ein sehr schöner Impuls in den Sonntag und die kommende Woche!

Die eigene Erwartung benötigt viel Prozesskapazität

Der befreundete Priester beschrieb sehr eindrücklich, wie es ihm während seines Predigens erging: Er merkte selbst, dass er den roten Faden zu verlieren drohte. Also versuchte er seine ursprüngliche Idee der Predigt wieder aufzugreifen und verhedderte sich.

Nun, er wollte uns als Zuhörer*innen morgens um 8 Uhr gerecht werden, an seine Predigt der vergangenen Woche anschließen und einen theologisch anspruchsvollen Sachverhalt (Gott als „Ich bin der ich bin da“ Exodus 3,14) entfalten. Das Ergebnis, er blickte zum Teil in etwas ermattete Gesichter…

Wir mussten schmunzeln, wie stark uns doch die persönlichen Erwartungen von dem abhalten oder abbringen, was im Moment wichtig wäre.

Zweckpessimismus als adäquates Erwartungsmanagement

Ein weiterer Teilnehmer, der häufig als Mesner mit der Organisation des Gottesdienstes und Unterstützung im Ablauf der Eucharistiefeier betraut ist, vertrat die Devise: „Wenn man nichts erwartet, kann man auch nicht enttäuscht werden“. Zuerst irritierte mich diese Äußerung in Sinne von „typisch schwäbisch, immer etwas tiefstapeln…“.

Doch im weiteren Gespräch stellte sich das für ihn als eine sehr positive Strategie dar, die ihm immer wieder Erfolgserlebnisse vermittelte. Warum? Er hatte in vielen Jahren mit sehr unterschiedlichen Zelebranten und Ehrenamtlichen die Erfahrung gemacht, dass es wirklich sehr viele Formen gibt, einen Gottesdienst zu feiern und die konkrete Vorbereitung und Organisation anzugehen.

Da fällt es ihm tatsächlich am leichtesten, wenn er in seiner Funktion als Mesner wenig Erwartungen an alle Mitwirkenden entwickelt. Aufgrund seiner Erfahrung kann er sich auf zahlreiche Eventualitäten vorbereiten. Deshalb konzentriert er sich auf maximale Flexibilität seinerseits in der halben Stunde vor Gottesdienstbeginn. Und wenn dann der Gottesdienst für die Gläubigen ohne Irritationen und ungestört abläuft, dann hat er seinen Teil dazu beigetragen und ist wirklich zufrieden.

Persönliches Erwartungsmanagement justieren

Ich nehme aus diesem kurzen Austausch nach dem Gottesdienst für mich die Aufgabe mit, mein persönliches Erwartungsmanagement genauer in den Blick zu nehmen. D.h. mir zum einen darüber klar zu werden, mit welchen Erwartungen ich in eine Situation hineingehe. Und zum anderen zu reflektieren, ob diese Erwartungen meine persönlichen Erwartungen sind oder ob diese Erwartungen von anderen stammen, und inwiefern ich diesen gerecht werden will. Ich bin gespannt!

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